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Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
10.03.2024 18:47 Forum: Das Tal



Wie ein tollwütiger Gierschlund hielt er auf das junge Frischfleisch zu. Viel passierte nicht mehr in seinem Kopf, eher herrschte dort ein lähmender Stillstand vor, eine beängstigende Stille. Doch die Ahnung vom Geschmack ihres Saftes war ungefähr vergleichbar mit dem Verlangen eines Beinahe-Verdursteten nach einem Schluck frischen Quellwassers zur Rehabilitation der eigenen Gesundheit. Ohne noch etwas um sich herum wahrzunehmen – nicht die Luft um sich herum, das matte Tageslicht oder den Boden zu seinen knorrigen Füßen – hastete er dem Geschöpf hinterher wie einem Kaninchen. Vom Wölfischen war nichts geblieben, allein die unstillbare Lust und das Verlangen nach Lebendigem stand ihm in den glasig-trüben Augen geschrieben. Dieses Tier musste er haben! Er nahm auch nicht wahr, wie der Wolf, den er selbst eben noch zu Boden gerungen hatte, nun seinerseits auf ihn sprang und ihn aus der Bahn katapultierte. Sein verkommener, übel riechender Leib mit dem offenen Fell- und Fleischstellen schlitterte ein Stück über den Schnee, bevor er zum Stehen kam. Ohne es willentlich zu beeinflussen, schnappte sein gieriges Maul mit den sehnigen Spuckefäden nach dem Leib des Angreifers. Beinahe erwischte er den Hals des Gegners, doch blieb es dann bei einem Bündel ausgerissenen Fells, denn sein Fleisch weckte interessanterweise kaum das Verlangen, das ihn gerade dirigierte – zumindest nicht, solange er mit ihr die bessere Wahl hatte. Er trat und strampelte, stieß merkwürdig artfremde Laute aus – einem Krächzen und Fauchen näher als den sonst wolfstypischen Lauten – bevor er es schaffte, sich wieder auf seine Läufe zu stellen, weil er dem Fremden mit den Hinterläufen gegen Kopf und Gesicht trat in seiner Not. Der mutierte Wolf, der kaum mehr an das ursprüngliche Wesen eines solchen erinnerte, geiferte entseelt nach der Fähe, die sich zunehmend entfernte. Doch schon sein erster Versuch, ihr ein weiteres Mal nachzueilen, scheiterte an der fehlenden Balance. Seine Sinne waren stark beeinträchtigt, ebenso sein Gleichgewichtssinn. Die Sabotageversuche des Störenfrieds taten ihr Übriges, sodass er sich unverhofft erneut auf dem Boden wiederfand und auf dem Schnee herumrutschte wie ein flugunfähiger Vogel, nachdem er aus dem Nest gefallen war. Er brauchte nur kurz, um seine Kräfte erneut zu sammeln, die da nicht natürlichen Ursprungs schienen, dann würde die wilde Hatz weitergehen, wenn ihn nichts stoppte ...

(Enaid, Eden | Kältesturmhalbinsel)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
24.02.2024 05:57 Forum: Das Tal



Sein Bewusstsein wurde langsam aber stetig aufgefressen. Hatte er anfangs noch die Züge eines Wolfs – also eine sozialen Geschöpfs mit der Fähigkeit zur Kommunikation in der Gruppe besessen –, so verdichtete sich der schwarze Rauch in seinem Resthirn und verwandelte dieses in einen vulkanisierten Klumpen, eine zäfe Masse, die zu keinem Empfinden mehr im Stande war. Doch mochte sein Kopf auch lebewohl gesagt haben, seine übrigen Körperfunktionen taten es noch etwas länger. Parallel zu einem an Tollwut erkrankten Tier, fanden seine Muskeln noch einmal zur Höchstform zurück und erlaubten ihm Sprünge und Sprints, zu denen er vielleicht zu Lebzeiten nicht einmal fähig gewesen war. Der Rüde verfiel in einen wirren Wahn, der an alte Jagdtriebe gebunden war. Seine fixe Idee, die junge Wölfin – ein Sinnbild für Jungfräulichkeit, für Unreife und für Leben – zu erwischen, wurde zu einer Besessenheit. Dabei störte alles, was ihm in den Weg kam, etwa alte zerknitterte Rüden mit stumpfem Fell, die das absolute Gegenteil der Erstgenannten darstellten. Wildgeworden schnappte er um sich und versuchte das Hindernis – Max – zu zerreißen, um den Weg zu seinem ,Jungbrunnen' zu ebnen. Doch die Vorstellung, sie mochte seine Medizin sein, seine Rückfahrkarte ins pure Leben, löste sich samt seinem Seelenrest und sein Tun schlug um in eine blutige Hatz nach jungem Fleisch – Wolfsfleisch! Geifer spritzte aus seinem stinkenden Maul, in seinen fauligen Augen stand eine unverrückbare Unbarmherzigkeit, die kein Mitgefühl, keine Gnade mehr kannte. Sie musste er kriegen, kostete es, was es wollte! Er stieß unfreiwillig mit ,Max' zusammen und stürzte zu Boden. Obgleich seine knochigen und verkrümmten Beine hilflos in der Luft strauchelten, schnappte sein Gebiss gierig ins Nichts, als konnte es die junge Fähe schon aus der mittleren Distanz erhaschen, so groß war das Verlangen. Und obwohl diese Kreatur inzwischen nichts Wölfisches (im sozialen Sinne) mehr an sich hatte, anatomisch gar mehr von einem abgelagerten Kadaver, das Verlangen nach ihr war ungebrochen. Von Rage gepackt über das Tun Max', sich ihm in den Weg zu stellen, haschte sein gieriges Maul nach dessen Rute und packte sie voller Fleischeslust. Er zog daran und rüttelte mit dem Kopf hin und her. Dabei befiel den Erkrankten ein undefinierbarer Mangel an Schmerzbewusstsein, denn der fiese Sturz auf den harten Untergrund hatte ihm nicht viel ausgemacht, ebenso wenig die Rippen, die er sich dabei gebrochen hatte. Wahnsinniger, zu dem er geworden war, schüttelte er sein Maul samt der Rute des Rüden hin und her, ohne eine Spur der Rücksicht oder anzudeuten, es nicht so zu meinen. Sollte der Fremde doch in tausend Fetzen zerreißen, ihm war es gleich! Lange aber wehrte sein kleiner Anfall ihm gegenüber nicht, eh seine Läufe wieder standen und er fähig war, die Jagd auf das unschuldige junge Ding fortzusetzen. Mit einem gespenstischen Flackern in seinen Augen hastete er der Wölfin hinterher, wollte, nein musste sie kriegen, ganz gleich, was geschah!

(Enaid, Eden | Kältesturmhalbinsel)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
30.01.2024 18:39 Forum: Das Tal



Ein bisschen erinnerte ihn sein Zustand an diesen einen lauen Sommerabend in jungen Jahren, als er mit seinem Bruder Pepe zu viele von diesen vergorenen Beeren genascht hatte. Damals war ihm genauso komisch zumute gewesen und Pepe hatte sich unvermittelt verdoppelt. Verdoppelt hatten sich diese Beiden hier nicht, die waren wohl schon immer zu zweit gewesen - eine kleine und ein großer. Eigentlich ein interessantes Gespann, das ihm vielleicht helfen konnte. Jetzt gerade jedenfalls verspürte er eine zunehmende Schwäche in seinen Gliedern und das Zittern seiner Extremitäten war auch nicht zu verachten. Er wankte unsicher voran, immerhin konnte er die beiden Artgenossen kaum mehr erkennen, was einerseits daran lag, das seine Augen ganz schlecht wurden, zu allem Überfluss waren Max und Maxie aber auch noch weiter weggegangen, was es echt verdammt schwer machte, ihre Gesichter oder ihre Körpersprache zu lesen. Er kam daher nicht umhin, ihnen etwas nachzulaufen, wobei er durch seine eigene ausgesonderte Körperflüssigkeit stapfte, die das Gras tränkte und versauerte.
Glücklicherweise gab es noch die akustische Form der Kommunikation und der größere - Max, der Rüde - fragte, ob man ihm irgendwie helfen konnte. Ausgezeichnet! In der Tat war ihm ein wenig unwohl und er war zu ihnen gekommen, in der Hoffnung, dass sie ... dass sie ... ehr ... irgendein Wunder vollbringen konnten? Er stapfte weiter vor, wobei seine Wirbelsäule seltsame Bewegungen vollführte und eiferte den Zweien nach.

„Haffu .. haffihr ... iff ... mir iffniff ... iff ni- niff wohl.“

Was sollte er denn äußern? Er kannte doch den Aufbau eines Wolfskörpers auch nicht besser als sie, sowie dessen innere Vorgänge. Es sollte ihn überraschen, wenn es überhaupt jemanden gab, der ganz genau wusste, wie so ein Tierkörper funktionierte. Was er sicher zu sagen wusste war, dass sein Herz so schnell pochte wie das eines Vogels. Seine Augen waren blutunterlaufen und irgendetwas tropfte aus seinen Nasenlöchern, dem Maul, ja sogar den Ohren. Konnte das Blut sein? Es erschien und roch abgestanden und nicht wie das eines vitalen Wolfs. Sein Fell war stellenweise ausgegangen, wenn er es nicht gar selbst ausgerupft hatte und wunde Hautstellen traten zu Tage. Bestimmt nistete die ein oder andere Fliege auf ihm und hatte ihn als perfekte Eiablage erkoren - immerhin war es ein Ammenmärchen, dass Fliegen nur in totem Gewebe nisteten. Die waren da nicht so wählerisch, die kleinen Biester. Ganz anders als seine beiden Freunde hier, Max und Maxie. Die boten ihm Hilfe an, verhielten sich dann aber ungewöhnlich ausweichend. Das war eigentlich eine Schande, denn ganz besonders die Kleine war wirklich zum Abbeißen. Anbeißen, natürlich. Er unterdrückte für den Moment jegliches Zittern und Wanken und verharrte an seiner Stelle. Wenn er es so recht bedachte, hatte er seine Medizin längst gefunden! Was konnte gegen den fortschreitenden Verwesungsprozess eines Untoten helfen? Junges, gar jungfräuliches, frisches Fähenfleisch! Das Hilfsangebot von Max war wirklich nett. Aber wenn er die Wahl hatte zwischen Gut-Zureden und aktiv Leben in sich hineinschlingen, um wieder der zu werden, der er einst war, dann fiel ihm die Wahl nicht schwer. Er nahm all seine verbliebenen Kräfte zusammen und sprang mit aufgerissenem Maul und der schieren Gier nach jungem Leben auf das kleine Ding zu – Jungbrunnen, ich komme!

(Enaid, Eden | Kältesturmhalbinsel)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
09.01.2024 13:38 Forum: Das Tal



Eigentlich hätte er Abstand halten sollen. Die beiden Artgenossen konnten krank sein. Die Krankheit war fortgeschritten diese Tage – was, wenn er sich etwas einfing? Aber es schien zu spät für Heimlichtuerei. Gut wie die Sinne von Wölfen eben waren, hatten sie ihn bemerkt. Es konnte kein Zufall sein, dass sie beide kurz nacheinander auf seinen eigentlich so unverfänglichen Strauch sahen. Nun, dann konnte er seine Deckung auch aufgeben und sich ihnen zeigen, stets mit einem respektvollen Abstand. Leider musste er feststellen, dass es gar nicht mehr so leicht war, aus der Ducke hochzukommen. Seine Läufe stellten sich an wie morsche Äste und es knackte und knarzte wie verrückt. Trotzdem wagte er die ersten Schritte und verließ damit seine Deckung. Die Unschärfe der beiden fremden Wölfe nahm auch dann nicht ab, als er ihnen Stück für Stück näher kam. Sein Atem war heiß, es kostete ihn Anstrengung, ihnen näher zu kommen. Obgleich er wusste, dass ihm die letzten Tage gesundheitlich schwer gefallen waren – warum auch immer –, versetzte ihn sein jetziger Zustand doch in Erstaunen. Aber was soll's ... die anderen Beiden waren auch nicht gerade zwei Vorzeigeexemplare. Der Rüde, ein junger Bursche war er, sah seltsam aus und roch wie ein drei Tage alter Kadaver. Seine Begleiterin, die noch ganz grün hinter den Ohren war, so jung war sie, die war auch nicht viel besser. Ihr Geruch erinnerte ihn an etwas, das zwar mal lecker gewesen sein mochte, jedoch zu lange der Sonne ausgesetzt war. Ihr Fell wirkte merkwürdig unregelmäßig, uneben und dreckig. Dennoch würde er sich zurückhalten und die beiden nicht vor den Kopf stoßen. Er wollte sich in Diplomatie üben. Mit einem freundlichen Lächeln würden sie ihm ganz sicher offenstehen.

„Hal- Hacko ... ihr fwei Hüpf- Hüffen.“

Was meinten seine Ohren? Das konnte unmöglich von ihm stammen. Er hielt in einigem Abstand (er wusste selbst nicht, wie weit es noch genau bis zu ihnen war) an und versuchte sich zu sammeln. Sein Kopf, der sich nass und nicht sehr gut anfühlte, ging leicht nach unten. Überhaupt brummte das alte Ding, so als hatte er Bekanntschaft mit einem ganz harten Vertreter des geologischen Universums gemacht. Dabei war das überhaupt nicht der Fall. Seine Rudelmitglieder hatten ihn immer als Dickkopf bezeichnet ... von daher würde es schon nicht so schlimm werden!
Es triefte aus seinem Maul. Obwohl er schon seit einiger Zeit nichts mehr gefressen hatte und entsprechend dürr auftrat, hatte der Speichel aus seiner Schnauze eine grünlich-braune Verfärbung, als ernährte er sich Hauptsächlich von Stöcken und Ästen. Außerdem musste er sich immer wieder den blutigen Nasenausfluss ablecken, was vermutlich nicht so gut ankam. Vermaledeiter Riechkolben!
Er versuchte noch etwas näher zu gehen und es noch einmal zu versuchen.

„Ikffin ... iff ... pin ... Nölna...Nölner... Nöll ...“

Und dann geschah es! Die Nase rächte sich für seinen Versuch, das Blut zurückzuhalten, indem es die einst so wichtige Körperflüssigkeit gleich durch den Rachen schickte. Eh er sich versah, weitete er seine Kiefer und ein Schwall seines dunklen Blutes trat heraus, um mit einem lauten Platsch vor seinen Pfoten zu landen ... vielleicht auch vor denen seiner beiden Gegenüber, sollten ihre Reflexe eher von der bequemen Sorte sein. Sein Kopf hing herunter und er starrte entgeistert auf den vermeintlichen Rohrschachtest. Seine Augen waren trüb und erlaubten keine genaue Sicht der Dinge, doch wenn er zu blinzeln versuchte, erkannte er in dem Flecken eine Art Geburt ... die Geburt eines Ungeheuers! Was hatte das zu bedeuten? Er wollte daran riechen, doch der furchtbare Gestank der beiden Artgenossen stach ihm wieder in die Nase und erinnerte ihn daran, besser nicht zu tief Luft zu holen.
...
...
.......
Der Artgenossen? Es war sein Geruch, der ihm unangenehm zusetzte! Als ihm die Tatsache bewusst wurde und er erkannte, dass seine Läufe tatsächlich in etwa die Form vierer morscher Äste hatten, wurde ihm ganz schwindlig. Er wollte sich gerade ein drittes Mal äußern, sich vermutlich entschuldigen für seinen – gelinde gesagt – unglücklichen Auftritt und es wieder wettmachen, als sich seine inneren Organe, allen voran der Magen, an lustigen Krämpfen versuchten. Er pumpte und würgte, versuchte sein Maul dieses Mal zu zwingen, geschlossen zu bleiben. Eine Hitze rann durch seinen hageren Körper und er begann zu zittern. mehrmals drehte er sich im Kreis, bis er mit seinem nachlassenden Körper eine Art Kompromiss aushandelte. Sein knochiger Hintern landete plumpsend auf dem Schnee, wo er fürs Erste sitzen blieb und versuchte, die Krämpfe zu beruhigen. Erst nach einiger Zeit ließen sie nach und er hatte wieder die Gelegenheit, die beiden Artgenossen in Augenschein zu nehmen. Irrte er sich oder waren sie geschrumpft? Seltsame Dinge gingen vor sich ...

(Enaid, Eden | Kältesturmhalbinsel)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
29.12.2023 17:11 Forum: Das Tal



Hatte er sich doch nicht getäuscht! Es roch nach Frisch- nach jungen Wölfen. Er konnte nicht ergründen warum, aber es zog ihn in diese Richtung. Es war der süßlich-verführerische Duft, der nicht sexueller Natur entsprang. Trotzdem löste es in ihm ein Gefühl aus, das ganz unbeschreiblich war. Es war am ehesten mit einem Kribbeln im Bauch erklärbar ... einem Kribbeln ... im Bauch? Das kannte er sonst allenfalls, wenn ihm der Geruch eines jungen Rehs in die Nase stieg. Hier allerdings handelte es sich um Wölfe, also um Artgenossen! Viel naheliegender als die Assoziation mit Beute war, dass sie ihm helfen konnten. Er würde sogar darauf bestehen, dass sie ihm halfen, denn ihm wohnte ein schwer definierbarer Zwang inne, der einem Bedürfnis entsprang, das man nicht beschreiben konnte.
Zunächst und wie es sich gehörte, würde er ausloten, mit wem er es dort zu tun hatte. Die fremden Wölfe konnten immerhin gefährlich für ihn sein! Und nichts konnte er jetzt weniger gebrauchen, als eine Gefahr, die ihn in seiner Existenz bedrohte. Er musste bei Kräften bleiben, um seine Suche fortsetzen zu können.
Vorsichtig pirschte er sich näher an, was nicht so leicht fiel, denn sein Körper war nicht mehr wie gemacht für solche Heimlichkeiten. Er robbte daher die letzte Distanz über den Boden und versteckte sich hinter einem seit Ewigkeiten vertrockneten und toten Busch. Das war in etwa so, wie wenn sich ein Elch hinter einem Grashalm zu verstecken versuchte, denn bestenfalls störte es die Textur seines immer weniger ansehnlichen Gesichtes. Hinzu kam, dass er schwer sehen konnte. Die beiden Gestalten, ein größerer und ein kleinerer Wolf, waren unscharf, kräuselig konnte man sagen. Ein schwer zu begreifender Nebel lag um ihn herum. Viel wichtiger war für einen jeden Caniden ohnehin der Geruch. Doch der Geruch, der ihn erreichte, war faulig, modrig und nicht das, was man von Artgenossen erwartet hätte – ob die Beiden krank waren? Sie rochen nicht gut, daher wollte er Vorsicht walten lassen. Obgleich es ihm selbst immer schlechter ging seit einigen Tagen, wollte er doch nichts riskieren. Daher versteckte er sich vorsichtig hinter seinem armseligen Sträuchlein und wartete, was geschah.

(Enaid, Eden | Kältesturmhalbinsel)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
19.07.2023 12:11 Forum: Das Tal

Lynx




Es rührte ihn ernstlich, wie besorgt die Weiße um ihn war. Und nicht nur sie. Auch der große dunkle Rüde, der sich Roghir nannte, wollte nicht von ihrer beider Seite weichen. Dabei erkannten die zwei nicht, dass sie ihm damit keinen Gefallen taten. Es schmerzte den Polarwolf, in diesem intimen Moment, der vielleicht sein letzter war, von allen anderen beobachtet zu werden. Obgleich er die anderen Wölfe nicht direkt ansah, konnte er ihre Blicke doch spüren. Seine Ohren lagen beschämt an, der Kopf hing knapp über dem Boden, die Pfoten verkrampft. Für einen Moment hatte er den Eindruck, sein körperliches Leiden ließ nach. Er fühlte sich etwas besser und wagte erstmalig wieder, einem Artgenossen in die Augen zu blicken. Sein Blick traf auf Takatas Gesicht. In diesem Moment fühlte er sich wie ein Beobachter von außen, der mit all dem nichts zu tun hatte. Die Wölfin über ihm sah zurück und schimpfte mit den anderen. Lynx fürchtete, dass sie erneut zu einer unbedachten Tat schritt, obgleich sie nicht die körperlichen Signale eines bevorstehenden Angriffs aussendete. Er bemerkte nicht, wie sein Leib zu zittern begann, jeder Teil ganz unwillkürlich. Warum tat sie das? Waren sie wirklich so gute Freunde oder war es nicht viel mehr so, dass sie sich an ihn klammerte, um nicht den letzten Glauben an die Wolfheit zu verlieren? Er sah angestrengt nach unten und dachte nach. Für die Dauer eines aufleuchtenden Blitzes erschien ihm noch einmal alles vor Augen, was er erlebt hatte. Sein Vater, der seine Familie mit Leid getauft und vier seiner Geschwister und seine Mutter vernichtet hatte. Sein Meister ... der ihm alles beigebracht hatte, was er benötigte, um das Sein in dieser Welt zu fristen. Das Rudel ... Skadi, die die Wölfe mit eisernen Klauen geführt hatte, aber dabei nie unfair aufgetreten war. Tihar ... an den Takata ihr Herz verschenkt hatte, zu früh und nun womöglich bereute, dem Falschen ihr ganzes Herzblut geschenkt zu haben ...
Während die Weiße versuchte, die übrigen Wölfe – Roghir, Pantalaimon und Valdis – fortzuschicken, wagte er, was er selbst kaum noch für möglich gehalten hatte. Langsam erhob er seinen gebrechlichen Körper und trotzte der Schwäche, die ihn zu Boden zu zwingen versuchte. Mit zittrigen Läufen richtete sich der Rüde auf, eh er einmal angestrengt ächzte. Obgleich er sich unverhofft gebrechlich und alt gebar, er selbst war stolz darauf, nicht länger auf dem Boden liegen zu müssen. Mit aller Kraft vermochte er es, auf seinen vier Läufen zu stehen und ein entschuldigendes Lächeln auf die weiße Fähe zu werfen.

„Ta...ka...ta...“

Wenn er es schaffte, zu simulieren, dass alles in Ordnung war, würde sie vielleicht mit ihnen gehen und ihn zurücklassen. Er verzieh es sich nicht, wenn sie daran zerbrach, dass er nicht mehr konnte. Lynx war zu realistisch, um davon auszugehen, dass dies nur eine vorübergehende Phase war. Sie befanden sich inmitten der Eiswüste und er hatte nicht mehr die Kraft, auch nur einen Schritt nach vorn zu tun, ohne wieder zusammenzubrechen.

Der Rüde bekam nur peripher mit, dass der dunkle Wolf etwas äußerte. Doch er hörte das Heulen in der Ferne und spitzte die Ohren. War das ...? Ein Schimmer fuhr durch seine Augen. Das war ... sein Meister? Er ... rief nach ihm. Würde er ihn wiedersehen? Doch dafür musste er Takata allein zurücklassen. Hatte er eine Wahl? Er neigte seinen Kopf nach oben und trotzte dem Verlangen, sich seiner Schwäche hinzugeben und wieder auf den Boden zu stürzen. Der dichte Wolkenschleier nahm jede Sicht auf den freien Himmel. Aber tief in seinem Kopf war er im Stande, sie zu sehen ... die funkelnden Punkte am nächtlichen Horizont, die ihm einst seinen Namen gaben. Die Lefzen bebten, heißer Atem drang aus seinem Maul. Langsam neigte er den Kopf tiefer. Der Gedanke, nun vielleicht das Sein im Diesseits aufgeben zu müssen, war verlockend und verstörend gleichermaßen. Ihm war durchaus bewusst, dass der mindestens einen Wolf zurückließ, der sein Ende nicht so leicht verkraften würde. Doch hatte er eine Wahl? Sein Versuch, seinem schwächer werdenden Körper zu trotzen, wirkte ungeahnt lächerlich und er drohte sein letztes Stück Würde zu verlieren, wenn er nicht nachgab.

Immerhin zogen die anderen Wölfe nun ab – doch nicht nur Takata, auch Roghir hatten sich anscheinend vorgenommen, ihr Bild von einem starken und milden Lynx gegen das eines langsam verwelkenden zu tauschen. Er selbst hätte sich nicht dabei zusehen wollen und doch blieb ihm nichts anderes übrig. War nun der Zeitpunkt gekommen, die berühmten letzten Worte an seine vielleicht einzige Freundin zu richten? Was konnte er tun, um ihren vorauszusehenden Schmerz zu lindern? Sei nicht traurig, du wirst neue Freunde finden? Wir haben uns nicht so gut gekannt, wie du vielleicht glaubst? Er war furchtbar darin. Beinahe verleitete es ihn zu einem aberwitzigen Grinsen, dass ihm die Zeit davonlief und er nicht den richtigen Abschiedsgruß fand. Aber allein bei dem Gedanken, Teyjen fallen gelassen zu haben, obwohl er die Verantwortung für den Kleinen übernommen hatte, war tröstlich, wenn er wusste, dass es nun zu Ende ging. Irgendetwas musste er der Weißen mit auf den Weg geben, denn obwohl er sich noch einmal zurück auf seine vier Läufe gekämpft hatte, er spürte, dass das Tauziehen bald vorüber war und der finstere schwarze Flügelwolf auch diesen Kampf gewinnen würde ...

„Takata ... ich “

Sein Winseln wurde abgelöst durch einen stockenden Atem. Er versuchte Luft zu holen, die Blockade in seinem Hals zu lösen, aber der Versuch beförderte nur einen Schwall Blut hervor, der ungehemmt aus seinem offenen Maul spritzte und den Weg in den Schnee fand. Umgehend holte ihn die Kraftlosigkeit wieder ein und schien ihn strafen zu wollen für den Versuch, gegen sein Ende aufzubegehren. Es trat das ein, was er um jeden Preis hatte verhindern wollen. Lynx stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden, direkt vor die Füße seiner Freundin. Er verspürte den Drang, die Luft aus seiner Lunge zu stoßen, aber es trat nur weiteres Blut über seine Zunge, sogar aus seinen Nasenöffnungen tropfte es. Der Geschmack des eigenen Blutes war erschreckend deckungsgleich mit dem der zahllosen Beutetiere, die er geschlagen hatte und vergegenwärtigte ihm seine eigene Vergänglichkeit, die nun näher gerückt war als jemals zuvor. Erst im Liegen erkannte der Rüde, dass einige Tropfen seines Lebenssaftes ins Fell der weißen Fähe gespritzt waren ... was hatte sie auch bleiben müssen. Warum hatte sie nicht gehört, sondern bereitwillig riskiert, sich mit dem anzustecken, das ihn von innen heraus zerstörte? Er wollte sich entschuldigen für dieses Versehen, wollte ihr wünschen, dass sie es besser hatte und sie ein letztes Mal auffordern, mit den anderen mitzugehen, als hier zu bleiben, wo der dunkle Flügelwolf sein Unwesen trieb. Lynx' Kopf war ihm sicher, denn anstatt noch etwas zu äußern, verspürte er eine Hitze, die ihn ihm zu brennen begann. Er wurde die Luft in den Lungen nicht los, da die Atemwege vom Blut blockiert waren, das Zittern seiner Pfoten wurde kleiner und das Bild von Takatas Pfoten begann zu verschwimmen, dunkler zu werden. Sie löste sich langsam auf und wurde eins mit dem Rauschen, bis alles von einer nimmersatten Dunkelheit verschlungen wurde, die ihm jede weitere Demütigung ersparte. Zurück blieb das erstarrte Wrack eines geschlagenen Beutegreifers, der sich der leblosen Umwelt um sich herum angeschlossen hatte, unfreiwillig und schneller, als es für ein lebendes Wesen begreifbar hätte sein können.

Malice Mizer - Vampire Hunter <<

(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Rand des Beerenwaldes)



Zitat:
Takata
Liebe Spielerin von Lynx,

falls du das liest ...
es tut mir wirklich Leid, dass ich deinen Charakter nach 11 Jahren rausspielen musste. Ich hoffe, du verstehst jedoch, dass wir diesen Knoten im Rollenspiel irgendwie lösen müssen, um weiterzukommen. Takata hat in Lynx einen letzten Verbündeten gesehen und hätte ihn niemals freiwillig ziehen lassen ...
In meinen Augen warst du dennoch immer ein willkommenes und fest eingebundenes WdN-Mitglied und als solches wirst du uns in Erinnerung bleiben! Niemand ist dir böse, das Leben hat manchmal einfach andere Pläne und das muss man respektieren ... bitte fühle dich nicht verstoßen oder herausgedrängt. Ich behalte dich und deinen Wolf Lynx positiv in Erinnerung und ich hoffe, du kannst das umgekehrt auch behaupten ...
Wünsche dir viel Glück in deinem weiteren Leben und dass du die WdN nicht ganz vergisst. grins
Liebe Grüße
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
04.07.2023 13:20 Forum: Das Tal

Reinhold Rabe




„Doch für den Moment sind wir nicht interessiert an einem Besuch bei irren Gestalten“

Irre! Irre! Das traf es gut! Sie waren alle irre. Aber am irrsten war die Schwarze, die aus ihrer Verachtung allen Gefiederten gegenüber keinen Hehl machte. Was hatte sie eigentlich für ein Problem? War sie mit dem falschen Fuß aufgestanden? War bei vier Füßen vermutlich nicht schwer!
Beleidigt zog er seine Kreise, krächzte schimpfend und ertrug das Gewäsch, mit dem sich die drei weiblichen Wölfe gegenseitig in die Ohren krochen.
„Ich danke dir. Euch zu begegnen war das beste, was uns nach langer Zeit passiert ist.“


„Krah! War das Beste, euch zu begegnen! Krah! Ein Getier, ein Getier! Mutter, wir danken dir! Krächz. Überflüssiges Geschwätz. Bah.“

Verärgert über die Absage der drei Rehfresser zog er immer größere Bahnen, die ihn langsam fortführten von der kleinen Gruppe.

„Bleibt schön sicher! Gebt auf euch Acht. Wollt nicht zu den fröhlichen Wanderleichen. Dann kommen sie eben zu euch. Krahaha.“

Damit verschwand das schwarze Ungetüm in der Tristesse der leblosen Eislandschaft. Er hatte versucht, den vermeintlich Klügsten unter den Prädatoren das Geheimnis des Krankseins näher zu bringen, aber sie hatte abgelehnt. Ihr Wunsch, in Sicherheit und Geborgenheit zu verweilen, wo der schnöde Mammon frönte, war größer, als den Ursachen auf den Grund zu gehen und vielleicht eine Möglichkeit zu finden, nicht Opfer der Irren zu werden. Sie glaubten, sie hätten ein Schnippchen geschlagen! Sie waren der Meinung, wenn man die schlimme Wirklichkeit nur lange genug ausblendete, verschwand sie irgendwann. Weit ghefehlt! Sie würde sie einholen, ob sie dabei die Augen aufmachten oder nicht ... die Irren würden kommen, die Krankheit würde sie holen und unweigerlich zu einem ihrer machen. Irre!

[zunächst bei Ayjana, Aarinath & Shiro, dann fort| in der Polarwüste]



Rabenfoto - © Kytalpa [klick]
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
27.05.2023 17:29 Forum: Das Tal

Lynx





Der Weiße fühlte sich in diesem Moment wie ein uralter Wolf. Eine unbeschreibliche Schwäche zwang seinen Leib zu Boden und hier liegen und ausruhen war das Schönste, das er sich vorstellen konnte. Doch das war nicht alles: In seinem Innern brannte ein Feuer. Er spürte das Brennen ganz genau und fragte sich, durch was es entfacht worden sein konnte. Es wütete in seinen Organen und nagte rücksichtslos an seinem Innern. Wie lange noch würde er dem zunehmenden Schmerz standhalten ... und was dann? Was war, wenn man das Maximum des Erträglichen überschritten hatte? Was geschah, wenn man von Schmerzen überrannt wurde, die jenseits des erträglichen Maßes lagen? Als er diesem Punkt immer näher kam, hatte er Angst, seine Organe drohten zu platzen. Das Blut verließ seine Venen und Arterien und drang in Bereiche des Körpers, in denen es nicht sein sollte. Gerade noch so konnte er sich zwingen, einen zweiten Erguss des Blutes aus seinem Maul zu unterdrücken und zurückzuschlucken. Es war ihm unangenehm und er sah ehrfürchtig und peinlich berührt herum, wo die anderen standen – allen voran seine respektierte und geschätzte Freundin Takata.

„Alles ... gut“, hechelte er. Dabei spürte er das Brennen wieder ganz deutlich und es schmerzte ihn noch mehr, Laute zu tun. „Wird schon ... wieder.“

Lynx versuchte sich in einem entschuldigenden Lächeln. Doch er wusste, dass es nicht sehr überzeugend wirkte. Wie ein kleiner Welpe sah er auf seine fein nebeneinander gelegten Pfoten und atmete schwer. Die Ohren angeklappt, die Haltung unterwürfig, beschämt darüber, zu einem Problemfall geworden zu sein. Sie wollten zurück zum Rudel, obgleich die Aussichten nicht glänzend waren, denn die Alpha war nicht mehr und Takata schien sich mit den übrigen Wölfen überworfen zu haben. Dennoch ahnte er, dass er in diesem Moment nicht viel tun konnte für seine Fellschwester und es war unangenehm für ihn, vor ihr zu liegen wie ein Häufchen Elend. Er hatte das Verlangen, allein zu sein und wieder gesund zu werden, nicht eher unter andere Wölfe zu treten, bis er wieder der alte war. Und gleichzeitig wusste er, dass es utopisch war. Trotzdem wollte er einen Versuch unternehmen, obgleich er sich vehement gegen den Gedanken wehrte, es mochte das letzte Mal sein, dass sie sich gesehen hatten.

„Geht ... ruhig ... ich ... komme ... nach.“

Sein verschmitztes Lächeln, das die Situation entschärfen sollte, glänzte vor Hilflosigkeit. Dennoch wollte er nicht schuld daran sein, dass die Gruppe seines wegen länger in dieser Schneewüste ausharren musste. Besonders die junge Fähe – Valdis war wohl ihr Name – schien ungeduldig. Doch konnte sie ihrer Forderung, sich zusammenzureißen und einfach mitzukommen, nicht Folge leisten, ohne Gefahr zu laufen, zusammenzubrechen wie ein geschlagenes Reh und blutig auszulaufen. Stattdessen wich er den Blicken der anderen aus, als musste er sich schämen und wünschte sich, dass man ihn mit seinen neuen Sorgen allein ließ, wenigstens, bis er Gewissheit hatte, ob er es weiter schaffte oder nicht.




(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Rand des Beerenwaldes)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
06.04.2023 18:39 Forum: Das Tal

Reinhold Rabe





Haltet mich für verrückt, aber ich glaube dem Vogel!
Verrückt! Sie glaubte ihm! Wie verrückt war das denn? Ja, verrückt wurden sie. Alle ein kleines bisschen. Jeden Tag etwas mehr. Und bei ihm konnten sie lernen, wie man es am besten anstellte. Wären da nur nicht diese beiden missgünstigen Gestalten in Schwarz und Weiß gewesen, die da hinten auf den billigen Plätzen, die sich ihren Kommentar nicht sparen konnten. Es machte den Raben unruhig und unzufrieden, dass er ständig kritisiert wurde, immerhin hatte er ihr 1A-Spitzeinformation zum Besten gegeben. War das der Dank dafür? So sehr er sich über die Weiße vor ihm freute, so sehr erregten die beiden Spielverderberinnen weiter hinten seinen Unmut. Er flatterte einmal auf und protestierte.

„Frechheit! Unverfrorenheit! Was fällt euch ein! Sind gute Informationen! Sind wertvolle Informationen. Ihr wisst nicht, wie gut ich bin .. krächz .. wie gut die sind, meine ich! Krächz!“

Verärgert trippelte er auf und ab. Die beiden Waschweiber sollten sich in Luft auflösen, aber subito! Er hatte seine Freundin und er liebäugelte mit ihren Augen ... ein oder zwei in seinem Nest, oh, das wäre fein. Dort könnten sie ihn jeden Tag anblicken und liebe Augen machen. Äuglein, Äuglein auf dem Pfahl, wer ist der Eleganteste im ganzen Tal? Und während seine Freundin schon erste Ambitionen entwickelte, sich sportlich ins Verderben zu stürzen und nach den Halbtoten zu sehen, um ihnen ein fröhliches „Guten Tag, der Herr“ zu kräch- ehm ... wie doch gleich? zu wuffen, machte das Feuerauge seiner Vorfreude einen fetten Strich durch die Rechnung, stellte sich wie eine Übermutter in den Raum und nörgelte herum ... Wir sollten uns jetzt besser auf den Rückweg machen! Wir sollten uns ... Unsinn!! Jetzt wurde es doch erst richtig spannend. Die Weiße mit den roten Augen erzürnte ihn nachhaltig. Er flatterte auf - vergaß dabei für einen Moment seine wunderbaren Wolfsfellhärchen und flog ihr in einem unversehenen Moment so dicht über die Stirn, dass seine Krallen mit mindestens einem weißen Plüschohr in Berührung kamen.

„Niemals! Geht nicht! Niemals!“ Er flog noch eine Runde, eh er noch im Maul eines dieser beiden neidischen Wesen endete und krächzte aus der Luft, während er über ihren Häuptern kreiste. „Wollt ihr denn nicht wissen, wie alles angefangen hat? Sind so schöne Leichen, stinken doch ganz fein, dürft ihr nicht verpassen, wird sonst öde sein!

Obgleich er nicht hoch aufgestiegen war, landete er unverhofft sturzartig im Schneehaufen vor seiner wölfischen Freundin, sodass die letzten weißen Härchen von ihr, die noch nicht zerstoben waren, vom Pulverschnee begraben wurden. Für eine Weile war es wieder ruhig. Nur langsam arbeitete sich das schwarze Gefieder aus dem weißen Leichentuch, eh er den Kopf in die Höhe reckte und krähte.

„Krah! Was fällt dir ein! Unser schönes Geheimnis! Nein! Spatzenhirn! Spottdrossel, vermaledeite!“

Er verließ die Schneewehe, um sich der Stelle, an der er eben verharrt hatte, gegenüberzustellen und ruderte genervt mit seinen Flügel.

„Kannst sie doch nicht zu den wandelnden Toten schicken! Sind viel zu ängstlich.“ Er neigte den Kopf etwas nach unten und schien für einen Augenblick den Boden unter sich zu betrauern. „Aaarme Wölfe ... gehen so schnell kaputt ... müssen geschützt werden ... vor den ... Leichen.“




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Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
20.03.2023 16:32 Forum: Das Tal

Frau Reh



Diese herrliche Ruhe! Dieser betörende Duft junger Pflänzchen! Was war das doch für ein wunderbarer Ort. Und er war so wolfsfrei … oder? Also wenn sie sich doch einmal dazu zwingen konnte, vom saftigen Grün am Uferrand abzulassen, um einen Blick auf die andere Seite des Sees zu werfen, dann sah sie, dass die einzigen Rehmörder, die dieser Ort gekannt hatte, fort waren. Na bestens, dann konnte sie beruhigt weiterfressen. Also den Kopf wieder nach unten senken und ein junges Kleeblatt nach dem anderen verdrückt. Das Zermahlen unschuldig junger Frühlingsblüher war ihr doch immer noch die größte Wo- Halt mal. Wenn die Wölfe dort drüben nicht mehr waren … wo waren sie dann? Es war ja ein ur-inniger Wunsch eines jeden Pflanzenfressers, aber so weit sie wusste, lösten sich diese Monster ja nicht im Äther auf! Es war immer besser, seinen Feind zu kennen und zu wissen, wo er war. Also wo hatten sich diese schmutzigen Kreaturen hinbegeben? Warum war es so auffällig still geworden? Hatte sie dort ein Rascheln gehört? Nicht? Dann war es aber der Gestank wölfischen Getiers, der soeben zu ihr geweht wurde. Hatte sie es doch gewusst! Feurio! Diese hinterhältigen Räuber schlichen sich von einer Seite an. Zum Glück waren sie schön blöd und liefen mit dem Wind. Offenbar litten sie selbst unter verstopften Nasen, was ihr natürlich nur recht sein konnte. Besser verschnupfte Wölfe als kerngesunde, die sich wie Kletten an ihrem unschuldigen Körper verbohrten und vampir-artig das Blut aus ihren Adern sogen. Igitt! Sie war doch kein Gänseblümchen! Noch eh die zwei Wölfe bei ihr angekommen waren, griff Fluchtplan B7 und sie entschied sich, es einfach in die exakt gegenüberliegende Richtung zu versuchen, denn Schwimmen wollte sie nur im äußersten Notfall. Sie sprang wie ein geölter Blitz über die Sträucher links neben ihr, damit also genau weg von den beiden blutdurstigen Kreaturen, die es auf ihr Fleisch abgesehen hatten. Wenn sie nur etwas Abstand gewann, hatte sich das Problem hoffentlich erledigt und- Sapperlot! Was war das? Noch einer von diesen … zu spät. Das sonst so grazile Reh wurde aus seiner Bahn geschleudert, als es über den schmuddelig-schmutzigen Körper eines dieser unliebsamen Kreaturen fiel und einen Salto vorwärts machte. Das Zusammentreffen mit dem Boden hatte etwas, dass von einer ausgeprägten Unwillkommenheit zeugte und sie schlug sich das Rehnäschen an einem gegenüberliegenden Baum blutig. Ein fieser Schmerz jagte durch ihr linkes Vorderbein, dem sie trotzen musste, um aufzustehen und die Flucht fortzusetzen, eh alles zu spät war …

[Yarok, Kachnik und Avon | am selben Ufer des Mondscheinsees]
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
20.03.2023 15:56 Forum: Das Tal

Lynx





Es war schon ein wenig süß anzuschauen, wie seine Fellgenossin bei Roghir um Entschuldigung bat und im Anschluss sogar noch dazu überging, ihm die Pfoten abzulecken. Einerseits verblüffte ihn die Selbstwirksamkeit, die Macht konnte man fast sagen, die er über die Weiße zu haben schien. Zwar hatte er sich nicht vorstellen können, dass Takata seine Aufforderung, sich bei dem Dunklen zu entschuldigen, mit einem einfachen „püh“ ablehnte und auf Absätzen umdrehte. Doch dass sie so weit ging, sich entschuldigte, seine Pfoten leckte und das Geschehene – soweit es ging – rückgängig machte, berührte ihn ein wenig. Welchen Einfluss hatte er auf diese Fähe? Hätte er umgekehrt genauso gehandelt? Vermutlich schon, obwohl es schwer war zu vergleichen, denn sie beide schienen völlig unterschiedlich auf solch eine Situation zu reagieren.
Der dunkle Rüde schien die Entschuldigung anzunehmen, auch wenn sein Mienenspiel Grund gab, anzunehmen, dass er noch immer verärgert war, was ihm auch keiner übelnehmen konnte. Als nächstes fragte der Rüde, ob sie zurückgehen würden und ob sie sie dabei begleiteten. Der weiße Rüde wedelte einmal kurz mit der Rute. Zuhause … ja, das war ein tröstlicher Gedanke, den er gern die Möglichkeit gab, sich in seinem Kopf auszubreiten. Doch war ihm gleichermaßen klar, dass es für Takata nicht so einfach werden würde. Sie schien der Alphawölfin, Skadi, einen besonders hohen Wert zuzumessen und die Nachricht von ihrem Tod hatte sie geschockt. Natürlich war auch ihm nicht egal, was passiert war und der Polarwolfrüde hatte genauso mit der Neuigkeit zu kämpfen, nur hatte er nie eine besonders enge Bindung zu der Sandfarbenen gehabt und war bereit, einen neuen Anführer zu akzeptieren – wer auch immer das werden würde. So oder so stand für ihn fest, dass über ihm Takata stand, denn auch wenn sie gerade eine sehr schlechte Zeit durchmachte, sie genoss noch immer hohes Ansehen bei ihm, auch, oder gerade nach dem, was sie nun unter Beweis gestellt hatte … dass sie sich entschuldigen konnte.
Lynx tat einen mutigen Schritt, während er entschloss, dass es für sie beide das Beste war, sich der Gruppe anzuschließen. Er hatte schon lange den Wunsch gehegt, zurück zum Rudel zu gehen, obgleich er ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte … weil er … ohne Teyjen wiederkehrte.

„Ja, wir kommen mit.“

Er sah aufmunternd zu Takata, eh er an sie herantrat und seine Nase in ihr Fell steckte. Natürlich konnte die Weiße auch widersprechen und ihr Mitkommen verweigern, aber es bestand doch ein angebrachter Zweifel, dass sie ganz allein gehen würde, dass sie ihn zurückließ. Und darauf baute er, denn er wusste, dass sie nur in der Gruppe stark waren.


(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Eisschlucht des Todes)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
19.02.2023 18:53 Forum: Das Tal

Reinhold Rabe



OhohOoohoOhh ... turtelte er hier etwas gerade mit einem ...... WOLF? Das gab es nicht! Die Rabenahnen wären mächtig beschämt bei diesem Frevel. Aber ihre Augen ... ihre wunderschönen Augen. Ob sie so weich waren, wie sie aussahen? Er hielt sich stark zurück, etwas zu tun, das ihn den ein oder anderen Flügel kosten konnte. Außerdem hatte er den Vierfüßigen doch etwas versprochen ....... was noch gleich? Hatte es mit dem Wetter zu tun? Oh, die Winde wehten furchtbar und immer aus der falschen Richtung. Es empfahl sich, den Flug stets mit dem Wind ... Moment. Das war unwichtig - sie waren ja an den Boden gefesselt! Die Armen! Die armen Schweine ... Wölfe ... Schwölfe?! Er hüpfe ungeduldig auf und ab. Nun lag es an ihm, dem armen, unschuldig weißen Geschöpf ein furchtbares Geheim- Moment mal. Konnte das Publikum auf den billigen Plätzen mal den Schnabel halten? Und was hieß hier „verschwinde, Vogel?“ Kurz bevor er seinem Lieblingswolf die bittere Wahrheit hinter dem ganzen Geschehen offenbaren konnte, packte ihn die durchgreifende Erregung und er flatterte ein Stück auf das Rotauge zu.

„Pah! Selber Vogel! Verschwinde selber! Pah!“

Damit sprang er eifrig wieder zu seiner Angeherzten zurück, eh sie ihm noch entflüchtete und kehrte zu einer ruhigen Pose zurück. Er wollte das zarte Ding ja nicht unnötig verängstigen. Ohhh, diese Augen! Kristallklare Augen. Aber ausgeglubschte Augen blieben eh nicht lange schön ... wurden stumpf und madig, sahen nur im Kopf so hübsch aus. Also gut, für heute durfte sie ihre Steinchen behalten. Aber ... wenn sie ihn fragte, welchen Preis er dafür wollte ... da fiel ihm durchaus etwas ein. Er fuhr mit dem Schnabel ganz dicht an ihr Halsfell und ... schnappte sich zwei, drei dünne weiße Härchen und rupfte sie aus.

Das da! Nicht mehr!“

Freudig über seinen kleinen Preis sprang er im Kreis und legte sie sorgfältig ab. Als nächstes versuchte er so leise zu gurren, wie es nur ging, damit es nicht die falschen Ohren, die missgünstigen Hirne erreichte, die in ihm nur schmackhaftes Geflügel sahen.

„Nicht weit von hier ... in der Eisschlucht des Todes ... ja, so nennt man sie. Da wohnen welche, die den Wahnsinn für sich gepachtet haben. Die wirklich Irren, die wirren Irren ... sie sind so toll, das selbst die Raben nicht über ihren Köpfen zu fliegen wagen." Er sah kurz prüfend zurück auf ihre beiden Gefährten. Der Dunkelpelz schien mehr sagen zu haben als der Rest - oder vielleicht glaubte die das auch nur. Er flatterte daher kurz auf, reckte den Hals und krähte verärgert zu ihr herüber.

„Genau ja, gehen, sofort! Geh doch! Geh nur. Geht, giftgrüne Augen!“

Damit wandte er sich noch ein letztes Mal an seine Auserwählte und flatterte vor ihr, als versuchte er sie, für das Rabenreich abzuwerben.

„Weißt du, was das macht?“ Er flatterte ungeduldig. „Komm näher!“ Er fuhr mit dem Schnabel ganz dicht an das schöne Pelzohr. „Das Wasser. Das Wasser aus den Flüssen. In ihm ist Gift! mehr als in deinen Freunden noch! Krah!“

Damit flog er ein Stück auf und nahm wieder Abstand. Die Drohung der Fremden weiter hinten war an ihm nicht vorbeigegangen. Er mochte vielleicht wahnsinnig sein, ein klitzekleines Bisschen, aber noch nicht lebensmüde.

„Nehmt euch in Acht“, meinte er zu den Dreien. „Mit denen ist nicht gut Vogelbeeren essen! Sie sind irre ... ja irre sind sie ... krah ... und ... gefährlich!“, raunte er und stieß einen irren Blick aus seinen kleinen schwarzen Äuglein, eh er die Härchen auflas und die Wölfe verstohlen von der Seite ansah.

[direkt bei Ayjana, etwas abseits: Aarinath, Shiro| in der Polarwüste]



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Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
19.02.2023 18:04 Forum: Das Tal





Die Ankunft der fremden Wölfe - obgleich er sie noch nicht kannte - tat seinem Geist gut. Zwar hatte er selbst die Einsamkeit gesucht, ihm war aber auch bewusst geworden, dass er so auf Dauer nicht leben konnte. Der Selbstzweifel hatte an ihm genagt, hatte ihm die Schuld für so vieles gegeben und in ein vermeintliches inneres Zwiegespräch mit seinen Meister treten lassen. Nun aber wurde ihm bewusst, dass dieser Austausch nichts als ein Rauf- und Runterexerzieren alter Erinnerungen war, die nicht mehr in diese Zeit passten. Hier waren - teils sehr junge - Wölfe, die unvoreingenommen schienen und nicht mit den alten Wunden zu kämpfen hatten, die ihn oder Takata plagten. Sie kannten Teyjen nicht, während Takata und er einen Schmerz teilten. Ihm war aber auch klar, dass die Weiße das ganz offensichtlich anders sah. Sie war nicht gerade begeistert von der "Störung" durch die anderen, besonders schien sie etwas gegen die junge Fähe zu haben, die sich als Valdis vorgestellt hatte. Lynx war unsicher, wie begeistert er von der Ankunft der anderen Wölfe sein durfte, wenn er Takata nicht das Gefühl geben wollte, sie im Stich zu lassen. Das war absurd, denn er würde an ihrer Seite bleiben und ihr Kraft geben, aber das wusste sie nicht. Lynx verzehrte einen kleinen Teil der Beute, bis ihn erneut ein schrecklicher Hustenreiz überkam. Er hustete etwas ab, das in ihm zu stecken schien, dabei hatte er sich nicht verschluckt. Das fühlte sich schmerzhaft an und er wusste nicht, was er sich zu Schulden kommen lassen hatte. Doch es verschwand wieder so schnell, wie es gekommen war und Lynx sah auf das, was sich vor ihm abspielte. Seine Begleiterin schlang die Beute in sich hinein, als gäbe es kein Morgen. Gewiss, sie waren Schlinger und gerade in dieser Eiswüste wusste man nie, wann es die nächste Mahlzeit gab. Aber was sie tat, war ein Fress-Exzess. Trotzdem hielt er sich zurück und versuchte stattdessen, selbst noch etwas zu fressen. Nun, nachdem Takata gesättigt war, kamen auch die anderen und nahmen davon, denn sie hatte glücklicherweise nicht alles geschafft. Er wollte sich um seine eigene Sättigung kümmern, als er aus den Augenwinkeln sah, wie seine Freundin über den Platz wankte. Was hatte sie? War ihr nicht gut? Fast entfloh ihm ein kleines Grinsen, das nahe der Schadenfreude war, hoffend, dass sie es nicht sah. Doch schon wenige Augenblicke später wurde ihm der Ernst der Lage bewusst. Takata übergab sich und spuckte alles oder einen Großteil der Beute wieder aus und eine Mischung aus Verärgerung und Mitleid keimten in ihm auf. Es war wohl nur Glück, dass der fremde Dunkle, der sich als Roghir vorgestellt hatte, nichts abbekommen hatte. Die Weiße dagegen fiel schlapp auf den Boden, was nach dem Ausbruch kein Wunder war. Roghir war - das überraschte nicht - wenig amüsiert und auch sonst waren die Blicke eher betreten. Takata hatte sich heillos übernommen - ob ihr das auch bewusst war? Andererseits tat sie ihm Leid, denn sie war gerade nicht mehr als ein Häufchen Elend. Lynx entschied daher, von der Beute abzulassen und zu ihr zu traben. Entschuldigend sah er dabei zu dem Dunklen auf. Ob er ihm eine Mitschuld geben würde? Aber er hielt seinen Ärger in Grenzen, was eher für ihn sprach. Lynx sah ein bisschen angeekelt auf das Ergebnis, dann aber auf die Polarwölfin, die schlaff und matt zu seinen Pfoten lag. Lynx näherte sich ihr und leckte ihr zwei, drei Mal das rechte Ohr, eh er leise meinte.

„Du solltest dich entschuldigen ... bei ihm.“

Dann sah er mit einem beschwichtigenden Grinsen, wie nur er es beherrschte, auf zu dem Dunklen, den er selbst noch fast gar nicht kannte. Takata schien ihn zu kennen und es wirkte, als war sie wenig erfreut darüber, dass ausgerechnet er hier aufgekreuzt war. Aber war das ein Grund, sich und ihn mit so etwas zu demütigen? Der Weiße holte tief Luft, er er die Weiße nochmals ermutigend anstupste und ermunterte, aufzustehen und wieder ein Stück Würde anzunehmen.

(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Eisschlucht des Todes)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
11.01.2023 12:44 Forum: Das Tal

Reinhold Rabe



Dunkelheit umhüllte ihn wie der Tod mit seinen großen Pranken. Es war ein eiskaltes Grab, das er sich gesucht hatte. Dabei schlug sein kleines Vogelherz noch immer eifrig und verriet ihn als lebendes Etwas. Nebenbei bemerkt ... es war reichlich sauerstoffarm hier drin. Ob das so gut war? Sein Hirn hatte in letzter Zeit nicht viel davon abbekommen, aber irgendwann einmal sollte es doch wieder etwas davon sehen, wenn er nicht seine letzten Federn lassen wollte.
Wie ein geölter Blitz schoss er aus der Schneedüne und zog einen Streif seiner schwarzen Unterfedern dort entlang, wo er flog. Er kreiste ein paar Mal wie ein besoffener Bruchpilot, nur im im nächsten Moment im ausnahmsweise respektvollen Abstand der drei Wölfinnen zu landen. Dort schaukelte er mit dem Kopf nach vorn. Schnee war zum Kotzen. Die Flügel versuchte er zu glätten, schien zu zählen, wie viele seiner stolzen Federn er hatte lassen müssen, konnte jedoch so oder so nicht verhindern, dass die ein oder andere kahle Stelle durch sein Federkleid lugte.
Nach einer ersten Inspektion seiner Selbst, hatte vor allem die Schneeweiße mit den bernsteinfarbenen Augen wieder seine Aufmerksamkeit. Er legte den Kopf schief und betrachtete sie abwartend. Diese Wölfin schmeichelte ihm, was ihm gefiel. Er flatterte geniert mit den Federn und krähte zwei, drei Mal, eh er entschied, etwas näher an dieses Wesen heranzuhüpfen. Auch die andere Weiße mit den rötlichen Augen sprang auf diesen Zug auf und versuchte ihm zu schmeicheln. Doch das war nur eine billige Nachmache! Im Gegensatz zu der Fellschwester meinte sie es nicht ernst, sondern wollte nur an Informationen kommen. Dabei hatte er ihnen schon mehr gegeben, als gut für sie war. Daher legte er abermals den Kopf schräg und sah auf die erste Schmeichlerin.

„Komm näher, schönes Kind. Dann verrate ich dir ein furchtbares Geheimnis.“

Er flatterte amüsiert mit den Flügeln. Ein furchtbares Geheimnis, ja, krah! Das war es. Und er würde sich an ihrem schaurigen Blick ergötzen, wie es seine Art war. Voller Erwartungsfreude hüpfte er auf der Stelle und wartete ab, wie sie sich entschied. Gleichzeitig sah er sich genötigt, eines klarzustellen, indem er zu den anderen beiden Fähen sah, ganz besonders aber auf die missgünstige Schwarze, die genauso verdorben war wie ihr Pelz!

„Krah. Krah. Euch beiden aber rate ich, haltet euch fern. Ihr seid falsch wie der See und jedes Vertrauen wäre eine schlechte Investition in eure verdorbenen Seelen! Krah!“ Er putzte sich das Gefieder, doch war er noch nicht fertig mit den beiden Begleiterinnen seiner sympathischen Schmeichlerin. „Gebt Acht, gebt Acht ... krah ... sind so schöne Äuglein, ein grünes und ein rotes, hatte heut' noch keins.“

[Aarinath, Shiro, Ayjana | Polarwüste]

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Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
26.12.2022 15:40 Forum: Das Tal



Mit Wohlwollen registrierte der weiße Rüde, dass seine Intervention nicht fruchtlos geblieben war. Die junge Wölfin hatte sich davongestohlen und war einer Auseinandersetzung fürs Erste entkommen. Auch ihn traf die Nachricht, dass Skadi ums Leben gekommen war und er musste erst einmal verarbeiten, was das bedeutete. Schließlich hatte er sie lange nicht gesehen und nicht damit gerechnet, ihr je wieder begegnen zu dürfen ... ebenso wie all den anderen, einschließlich Takata. Diese war fürs Erste etwas beruhigt und hatte sich abgewendet, um nach dem Reh zu schauen. Offenbar siegte der Hunger dann fürs Erste doch über den Groll und sie machte sich daran, davon zu fressen ... aber nein, das stimmte nicht. Sie trat respektvoll einen Schritt zur Seite und sah geradezu fordernd zu ihr. Bekam sie das Reh allein nicht aufgebrochen? Aber was für ein Gedanke! Jeder Wolf hatte scharfe Zähne und ihre hätten eben um ein Haar das linke Ohr der Fremden weggenascht. Die Geste war eindeutig, sie ließ ihm den Vortritt und räumte ihm das Recht ein, als erstes davon zu fressen. Mit einem zaghaften Lächeln sah er ihr entgegen, bevor er hinging und an dem Kadaver schnupperte. Lynx musste erneut husten, was sich furchtbarer anhörte als es war und legte betroffen die Ohren zurück. Hiernach zupfte er etwas an der Bauchdecke des Huftiers, bevor er begann, sie aufzureißen wie ein Meister seines Fachs. Gleich quollen die ersten Gedärme heraus, die seinen Hunger fürs Erste stillen würden. Aber Takata wartete auch nicht, bis der Rehkadaver steifgefroren war, sondern gesellte sich dazu und begann vom anderen Ende mitzufressen. Ob es ihr darum ging, vor den Fremden ein Exempel zu statuieren? Wollte sie den anderen drei Wölfen zeigen, dass sie beide etwas Besonderes verband, sodass sie sie ausschloss von dem kleinen Festmahl mitten in der Einöde? Der Weiße überlegte, was es für ihn bedeutete, einen Teil der Beute zu lösen und zu den anderen Wölfen zu bringen, immerhin würden sie beide allein ohnehin niemals das gesamte Fleisch verputzen können. Also entschied er sich, den Darm des armen Rehs herauszuziehen. Da Därme für gewöhnlich sehr lang waren, zog er ein ziemlich langes Stück Fleisch hinter sich her, bis er -langsam und mit Bedacht- bei Roghir ankam, den er als einziges kannte. Er legte das Ende ab wie eine Lunte und sah aufmunternd in das Gesicht des dunklen Rüden, begleitet von einem kleinen Ruteschwenken. Anschließend begab er sich zurück und wühlte seine weiße Schnauze wieder in die offene Bauchhöhle, bis diese ganz rot wurde. Ob Takata das gefiel oder nicht, aber er konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, in einer so lebensfeindlichen Gegend sich den Magen vollzuschlagen und den anderen nichts zu geben, wenn doch genug für alle da war. Er traute sich zu, dies -zumal als Beteiligter der Jagd zuvor- mitentscheiden zu können, ganz gleich ob es Takata mit Gram stimmte oder nicht. Sie würde ihm dafür schon nicht den Kopf abreißen, oder?

(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Eisschlucht des Todes)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
12.12.2022 12:17 Forum: Das Tal

Reinhold Rabe



Immer wieder legte er den Kopf schief, neigte ihn zur Seite und nahm die Irren ins Blickfeld. Die drei wirkten unfreiwillig komisch auf ihrer Reise in die weiße Hölle. Sie mochten mit ihrem Leben abgeschlossen haben, dass sie sich in die Kühlkammer des Landes vorgewagt hatten. Dabei wirkten sie nicht unbedingt wie welche, die so verzweifelt waren, dass sie hier ihr eisiges Grab suchten. Die zierliche Weiße ... also die eine Weiße mit den weit weniger auffällig leuchtenden Augen, machte auf ihn eher einen furchtvollen Eindruck. Sie wirkte richtig schön verunsichert und stellte eine gute Basis dar, um auch ihre beiden Begleiterinnen zu umnebeln. Was äußerte dieses unwissende Geschöpf da? Krah- krank? Sie wusste nicht, was sie da äußerte. Mit diesem Begriff musste man vorsichtig umgehen die Tage. Nein nein, er war nicht krank. Er stand über dem ganzen .. oder flog darüber, sinnbildlich gesprochen. Krank ... das konnte nur ihnen passieren, diesen eierlosen Geschöpfen .. also denen, die ohne schützendes Ei auf die Welt gekommen waren ... die nass und nackt aus dem Leib ihrer Mutter gefallen waren. Ieh!
Als die Fähe ihre Aufmerksamkeit auf ihn richtete, tat er unversehens zwei, drei hüpfende Schrittchen auf sie zu und legte wieder den Kopf schief. Es war nicht immer leicht, Geräusche sicher zu vernehmen, wenn die Ohren im Kopf verwachsen waren. Als sie fertig gefragt hatte, flatterte er aufgeregt und amüsiert zugleich und sprang dabei mehrmals auf den Boden und wieder in die Höhe, wobei er feinste Schneekristalle aufwirbelte, begleitet von einem freudigen Krah-krah.

„Solch Frage stellt auch nur ein tumber Tor, krah!“

Er stolzierte einmal im Kreis und zog eine kleine Bahn im Schnee, bestehend aus den winzigen Abdrücken seiner spitzen Krallen. Was für ein herrliches Amüsement! Warum hatte er diese ... Wölfe ... nicht eher zu seinen Spielgefährten erkoren? Dann aber hielt er plötzlich inne und sah auf die Stelle, wo er eben noch gesessen hatte, um - nicht ohne Vorwurf - zu gurren.

„Gurr. Lass doch! Lass sein. Sind nur Wölfe. Wissen's nicht besser.“

Daraufhin verstummte er, schien für einen Augenblick nachzudenken, eh er wieder ein paar Schritte auf die drei Ungetüme zutat und die Fragestellerin direkt ankrächzte.

„Irre, wirre Traumgestalten ... die da in ihren sicheren Tod wandern. Wie Todessehnsüchtige vereint mit dem weißen Schleier des Vergessens.“ Er sah kurz zur Seite. Keine Spur der Angst vor den Raubtieren, die sein Verhalten beeinflussten. „Arme Träumende ... sehen nicht den Tod ... vor ihren Schnäbeln. Sehen nicht die zahlreichen seelenlosen Hüllen, die umherwandern, auf der Suche nach Nahrung ...“ Er tat einen Sprung auf die weiße Fragestellerin zu und krächzte ihr aus ganzer Kehle ins Gesicht, während er mit den Flügel ruderte und Schneestaub zu ihr beförderte. „Nahrung ... wie euch, krah!“

Anschließend flog er auf, zog einen ausgiebigen Kreis und landete weiter drüben in einer seichten Schneedüne, als hatte er sein kühles Grab bereits gefunden. Stille.

[Aarinath, Shiro, Ayjana | Polarwüste]

Rabenfoto - © Kytalpa [klick]
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
19.11.2022 16:34 Forum: Das Tal

Frau Reh



Sie hatte sich vorgewagt. Zu weit vielleicht. Aber sie konnte das Wasser schlecht bitten, zu ihr zu kommen, damit sie das frische Element ihre Kehle befeuchten lassen konnte. Also wagte sie sich weiter vor. Und weiter. Bald drückten ihre Hufen deutliche Abdrücke in den weichen Ufersand. Kühl wirkte es, obgleich diese Gegend für ihre milde Temperatur bekannt war - verglichen mit dem Land drumherum, welches sie zum Glück hinter sich gelassen hatte. Und wie so oft im Leben, gab es nicht nur die eine Seite. Wo Licht war, war auch Schatten. Und der Schatten vermochte die Gefahr nicht zu verbergen, die auf der anderen Seite des Sees lauerte - Wölfe! Ieeh! Abscheuliche Kreaturen, die vom Fleische anderer Tiere lebten. Wo war die Evolution da nur falsch abgebogen ..? Sie musste sich ruhig verhalten, um nicht gesehen zu werden. Glücklicherweise wehte der Wind in ihre Richtung, sodass sie die Chance hatte, nicht entdeckt zu werden. Die Augen dieser blutrünstigen Räuber waren mittelmäßig gut, obgleich total bescheuert angeordnet. Sie hatten das Paar vorn im Gesicht, sodass sie nur in eine Richtung im selben Moment sehen konnten. Noch ein Missgeschick der Natur ... kann man nichts machen. Diese Exemplare der Unterwelt dort hatten jedenfalls gerade andere Sorgen. Nachdem sie im Wasser geplanscht und sich mit dem Höckerschwan vergnügt hatten, schienen sie sich nicht einig werden zu können, wer der armen kleinen Kreatur - ein Schwanenkitz war es wohl - zuerst den Kopf abreißen durfte. Sie nahm ein paar Schluck vom erfrischenden Nass und hob das Haupt, um sich das Maul zu lecken und die Szenerie weiter zu beobachten. Aus der anfänglichen bloßen Kontrolle über ihre Feinde war ein interessiertes Beobachten geworden. Wolfsland Tag und Nacht. Wirklich ein interessanter Hingucker, der sie fast vergessen ließ, ihre eigene Gegend im Blick zu halten. Da diese drei Vorzeigeindividuen wölfischer Ausgeburten jedoch vollkommen abgelenkt waren, gestattete sie sich, weitere Schlucke zu entnehmen. Hervorragende Qualität, obgleich von badenden Wölfen besucht. Irgendwann hatte sie genug und begann damit, das Ufer näher zu untersuchen. Hier und da fanden sich nette Knospen, die wie exquisite Pralinen daherkamen und darauf warteten, von einem hungrigen Reh wie ihr abgefrühstückt zu werden. Die Blutmonster hatten ohnehin gerade mit sich zu tun und es war bei ihrer Aufgebrachtheit nur eine Frage der Zeit, bis sie sich gegenseitig an die Kehlen gingen. Gelegenheit für sie, das Ufer abzugrasen und Infantizid an jungen Pflänzchen auszuüben. Hach, wie schön es war, Reh zu sein!

[Yarok, Kachnik und Avon | am anderen Ufer des Mondscheinsees]
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
13.11.2022 16:24 Forum: Das Tal

~ Dante's Prayer ~




Der weiße Polarwolf kam sich plötzlich vor wie in einer anderen Welt. Es war noch nicht lange her, da waren sie beide, Takata und er, knapp mit dem Leben davongekommen, hatten Beute geschlagen, die ihre Möglichkeiten eigentlich überragte und nun waren sie umzingelt von fremden Wölfen. Aber das stimmte nur so halb, denn Takata und der große braun-schwarze Rüde schienen sich zu kennen ... wobei man nicht behaupten konnte, dass sie ziemlich beste Freunde waren. Sogleich wunderte er sich, dass Takata noch ganz andere Seiten an sich trug. Man konnte gar behaupten, er fand sich plötzlich neben einer ganz neuen Wölfin wieder, die nichts von der hatte, die sich aufopferungsvoll zeigte, die ihn anstupste und ihm Mut zusprach wie auch umgekehrt. Denn so hatte er sie früher schon gekannt ... Takata hatte sich hingegeben für andere, insbesondere für den schwarzen Rüden, der ihnen nicht all zu gut getan hatte ... und ihr offenbar auch nicht. Ein Bisschen schien es, als hatte er abgefärbt auf sie, denn auch wenn sie es selbst vielleicht nicht mitbekommen hatte, Takata war nicht mehr dieselbe wie früher. Sie geriet in Rage, als der braune Rüde die Nachricht eines Todes überbrachte. Auch Lynx spitzte die Ohren und nahm diese Mitteilung mit Verwunderung, vielleicht auch einer Spur Erschütterung auf. Skadi kannte er einigermaßen ... erinnerte sich, dass sie die Rolle der Leitwölfin eingenommen hatte, ohne dass jemand - ihn eingeschlossen - Anstoß daran genommen hatte. Also eine von allen respektierte und geschätzte Fähe, auch wenn er die neuen Wölfe nicht kannte, die sich scheinbar zum Rudel zählten, wie dem Braun-Schwarzen und seinem Begleiter. Auch ihn traf es, vom Tod der Wölfin zu erfahren, zumal sich die Umstände grausam anhörten ... durchbohrt. Takata machte es ganz anders und während sich in sein Gesicht Betroffenheit und Trauer schlichen, fuhr sie in Rage und warf dem Botschafter vor, sie anzulügen. Aber warum sollte er das tun? Er kannte diesen Wolf zwar nicht, aber es war doch unwahrscheinlich, dass jemand Witze über so etwas machte. Er wollte gerade intervenieren und diesen Gedanken mit seiner Begleiterin teilen, als ihm klar wurde, dass ihr diese Erkenntnis selbst kam. Der Ausdruck, den sie offenbarte, zeugte davon, wie schwer sie sich mit dieser Nachricht tat, was er vollkommen verstand. Erst sein alter Meister, dann Teyjen und jetzt musste er auch noch den Tod Skadis zur Kenntnis nehmen. Das traf ihn vermutlich weniger persönlich als Takata, die sie wohl schon länger gekannt hatte, aber eine gute Anführerin zu verlieren, war für ein Rudel stets ein Unglück. Er hielt seine Nase in ihr Halsfell, aber das bekam sie scheinbar gar nicht mehr mit. Aber wenn er geglaubt hatte, Takata sank nun von Trauer zerfressen in sich zusammen, lag er falsch wie es falscher nicht hätte sein können. Sie alle waren wohl überrascht, als die Polarwölfin mit einem Mal herumfuhr und nach hinten schnellte. Lynx stand etwas verdattert da und fragte sich, wo sie denn nun hinwollte, als auch ihm schlagartig wieder einfiel, dass weiter abseits ja noch eine Wölfin stand. Und diese wurde nun offenbar zur neuen Zielscheibe von Takatas Verzweiflung, die ihren gesamten Frust nun mehr auf diese Eine lenkte, vielleicht weil sie erkannt hatte, dass der Braun-Schwarze nicht log oder weil er ihr zu stark und mächtig war. Sicher war nur, er musste sie aufhalten, eh sie die jüngere Wölfin in der Luft zerfetzte. Noch mehr tote Wölfe ertrug der Weiße nicht und er sprang ihr, so gut es ging, hinterher. Glücklicherweise zerfetzte sie sie noch nicht ganz, sondern beließ es offenbar bei einer Art „Warnung“, die allerdings schon ziemlich derbe ausfiel. Hätte die namenlose Fremde ihren Kopf unwillkürlich in die falsche Richtung geneigt, wären Takatas Zähne vielleicht in ihrem Fleisch gelandet. Gewiss würde er seiner Begleiterin beistehen, jedoch nicht, um andere Wölfe zu eliminieren wie Beute.

„Ta-“ begann er gerade, als sein Atem stockte und ein Husten aus seinem tiefsten Innern drang, der ihn davon abhielt, sich zu Ende zu äußern. Der Husten hielt kurz an, dann atmete er tief durch und sah auf die beiden Wölfinnen. Zum Glück war es noch nicht zu spät, aber er wollte Takata trotzdem vermitteln, dass sie nicht allein war, sodass es keinen Grund gab, die Beherrschung zu verlieren.
„Takata ... ruhig.“

(Takata, Valdis, Pantalaimon & Roghir | Eisschlucht des Todes)
Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
07.11.2022 08:54 Forum: Das Tal





Die drei Punkte kamen näher, ein Stück immerhin, waren schon zu unansehnlichen dunklen-hellen Flecken geworden. Die Eine wirkte, als hätte sie den anderen beiden jegliche Farbe geklaut, so blass wie die wirkten. Ihre Bewegungen waren von einer Spur Unsicherheit gezeichnet. Mhhh, Unsicherheit! Er nährte von Unsicherheit. Köstlich! Die großen Räuber, die sich für die Könige der Nahrungskette hielten, verwässerten in lieblicher Unsicherheit. Wie erquickend für das garstige Rabenauge!
Langsam kam er ein Stück näher gehüpft, schüttelte dabei seine Flügel und nahm die drei fremden Räuber genauer unter die Lupe. Diese Wesen wirkten so fehlplatziert wie eine Kellerassel auf hoher See. Oh ja, Kellerasseln waren sie, die hervorgekrochen kamen, weil jemand einen Stein angehoben hatte. Jetzt irrten sie blind und unsicher herum und suchten die nächste dunkle Ecke, unter der sie Schutz fanden. Aber hier gab es keinen Schutz. Hier gab es nur lieblich weißen Pulverschnee, der feste Gestalten wie diese da umarmte, bis sie in ihm versanken und jämmerlich erstickten. Köstlich!

„Krah krah“, fuhr es aus seinem Schnabel und er besah die Drei wie ein Abenteurer eine neu entdeckte Lebensart auf einer seiner Erkundungstouren. Sieh sieh, drei pelzige Wesen mit spitzen Ohren und nassen Nasen. Wie nennen wir diese neue Asselart? Verirrtes Spitzohr auf Abwegen?

„Schau an, wen wir da haben. Das müssen sie sein! Die irren Traumgestalten“

Er wirkte sichtlich amüsiert und sah immer wieder nach links. Seine Belustigung gipfelte im mehrmaligen Schlagen der Flügel, im steten Auf- und Abspringen mit den beiden nackten Krallenfüßchen. Er besah sie noch mal, schweigend, als konnte er nicht glauben, dass diese Asselartigen wirklich existierten, hier, quasi im Nichts. Nach einiger Zeit hüpfte er ein Stück nach links, stoppte, drehte sich dann nach rechts um und erwiderte auf sich selbst.

„Irre! Irre! Ja, das sind sie! Völlig irre! Krah!“

Stille. Er putzte sich das Gefieder. Elende Parasiten. Dann sah er mit blitzenden schwarzen Augen auf die Fremden, die da herumstanden wie die Ölgötzen. Eine Sensation waren sie. Schlagende Herzen auf dem Weg ins Grab. Ein Schauspiel, das er sich nicht entgehen lassen würde!

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Thema: Kapitel XI – Unsichtbare Gefahr
19.09.2022 15:34 Forum: Das Tal

+ Urfaust +


Gleich drei Wanderer verirrten sich in den Flecken Erde, der ein kühles Grab versprach! Drei an der Zahl, die ihre armselige Existenz aufs Spiel setzten, womöglich um das weite Abenteuer zu suchen! Es entzückte den gemeinen Betrachter, diese armen Gestalten durch das weißeste Weiß schlendern zu sehen, dass die Natur zu bieten hatte. Was konnte es schöneres geben als den bitteren Kontrast zum unschuldigen Weiß? Im hektischen Schlingern zog er über weite Distanz über ihren Köpfen hinweg. Immer wieder trieb der Wind ihn hoch, dann ließ er sich abfallen und stieg wieder auf. Die drei Punkte hüpften gar lustig über das weißeste Weiß, das das Tal bedeckte wie ein blasses Leichentuch. Im Strudel ließ er sich langsam herabsinken, stieg dann nochmals auf, näherte sich tendenziell aber mehr und mehr dem Erdboden mit den armen verirrten Erdenkreaturen, die des Fliegens nicht mächtig waren ... nicht mächtig sein würden. Armes Gewürm, das verdammt, mit den Füßen am Erdboden zu weilen, nicht aufsteigen und fallen zu können, wie es seinesgleichen taten. Wie die Insekten in den lauen Sommerabenden, die hilflos über die Felder krochen und denen jeder Grashalm ein schier unüberwindbares Hindernis war ... bis einer aus der Luft kam und sie von ihrem tristen Dasein erlöste. Das traf es punktgenau!
Er ließ sich im Sturzflug näher und sandte erstmalig das heiserste Krächzen aus, das die Luft je übermittelt hatte. Es hallte so schön wieder in der blanken Eiseskälte, traf auf die nur wenig entfernte Gebirgskette und wurde zurückgeschleudert zu einem Echo, dass einem jeden lebenden Wesen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er stürzte immer weiter, stieß ein zweites, anklagendes Krächzen aus, das für sich daherkam wie ein spitzer Pfeil, der sein Weg in ein unschuldiges Herz suchte.
Vielleicht die große Schwarze, die seiner Erscheinung beinahe ebenbürdig war? Oder das schneeweiße Gegenstück, das sich vor dem Hintergrund der Leichenblässe zu verstecken versuchte? Sie hatte ihre Fellschwester dabei, noch ein armes Ding, auf dem jeder Spritzer Blut leicht zu sehen war, wenn es austrat. Rot und Weiß, ein feiner Kontrast für den Todvernarrten. Bevor er die drei Verlorenen erreichte und einem von ihnen womöglich den Schädel spaltete mit einem Schlag seines Schnabels, drehte er ab und flog einen Bogen, der so rund war wie der mystische Vollmond. Sein drittes kraaaaaaah klang wie das Entflüchten einer Seele von jemandem, der seinen letzten Atemzug tat. In sicherer Entfernung ging er zu Boden. Der kleine schwarze Körper landete wie ein Pfeil im dichten Weiß des Leichentuchs, wo noch einige Spritzer aufflogen, bevor er darin verschwunden war und es für einige Herzschläge lang blieb ...
...
...
... eh er wieder herausschoss wie vom Boden eruptiert und auf die geschlossene Schneedecke platschte wie ein irrer Fluganfänger. Dort gurrte er mehrmals vor sich hin, beklagte sich über die Nachteile der Bodenständigkeit, eh er sich die Flocken aus dem Gefieder schüttelte. Die drei Punkte waren nun bedeutend größer als aus der Luft, doch noch immer waren sie Punkte, die nur darauf warteten, vom Weiß, das sie umgab, verschlungen zu werden. Der Meister der Lüfte kehrte zur Ruhe zurück, die hier vor dem Eindringen der drei Räuber geherrscht hatte. Er musterte sie von weit ab mit akribischer Genauigkeit, beobachtete jeden Schritt, den sie taten, jede Bewegung, die sie vollführten ... und schwieg dabei. Der Pfeil aus der Luft war zu einem Objekt der Landschaft geworden, erstarrt im Eis ........... Totenstille.



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